Hintergrundinformationen
Vorkommen, Transport und Attenuation von Viren im Sediment
Viren werden durch oberflächennahen Abfluss sowie durch unvollständige Entfernung in der Kläranlage in Oberflächengewässer eingetragen (Yates und Yates, 1990). Dabei stellen Flüsse mit einem hohen Abwasseranteil “worst-case-Bedingungen” dar. Viren können im Oberflächengewässer eine sehr hohe Persistenz von bis zu mehreren Wochen und Monaten aufweisen. Dies wird zum Beispiel durch niedrige Temperaturen und die Anlagerung an Schwebstoffe begünstigt (Jin und Flury, 2002). Zudem haben manche Krankheitserreger unter den Viren eine sehr niedrige Infektionsdosis, so dass die Aufnahme von 1 – 100 Viren schon ausreicht, um eine Magen-Darm-Erkrankung auszulösen. Wenn belastete Gewässer als Trinkwasserressource verwendet werden, müssen daher die Viren bei der Aufbereitung sehr weitgehend und mit hoher Verlässlichkeit entfernt oder inaktiviert werden. Die Uferfiltration ist eine naturnahe Methode (d.h. ohne Aufbereitungsstoffe und technische Methoden zur Abtrennung von Partikeln und Kolloiden), die dies sehr wirksam leisten kann, sofern die Bedingungen dafür geeignet sind. Der Nachweis von Viren nach einer Untergrundpassage hängt sowohl von ihrem Fortbestand (wie rasch werden sie abgebaut und wie lange bleiben sie infektiös?) als auch von ihrem Transportverhalten (wie gut werden Sie im Sediment zurückgehalten?) ab (Yates und Yates, 1990). Im folgenden Entscheidungsunter-stützungssystem wird nur der Transport und die Rückhaltung betrachtet, nicht jedoch Inaktivierungsvorgänge.
Prozesse des Virenrückhalts
Entscheidend für Transport bzw. Rückhaltung sind die Faktoren Konvektion, Dispersion und Adsoprtion.
Konvektion und Dispersion
Die Konvektion entspricht dabei der mittleren Grundwasserfließgeschwindigkeit. Dispersion (D) tritt auf, wenn Stoffe um Bodenpartikel herum fließen. Dadurch kann es zu einer zunehmenden Ausbreitung der Substanz kommen. Das Ausmaß der Ausbreitung hängt dabei von der Sedimenttextur, d. h. vom Gehalt an Ton, Schluff, Sand und Kies (D ist umso größer, je grobkörniger das Substrat) als auch von der Grundwasserfließgeschwindigkeit ab (D nimmt mit steigender Grundwassergeschwindigkeit zu).
Präferentieller Fluss:
Größere Viren(aggregate) nehmen nicht die Gesamtheit des dem Wasser zur Verfügung stehenden Porenraums in Anspruch, sondern werden aufgrund ihrer Größe nur entlang größerer Poren verlagert (“Größenausschlusseffekt”, “präferentieller Fluss”). Deshalb ist ihre Fließgeschwindigkeit höher als die mittlere Grundwassergeschwindigkeit, was dazu führen kann, dass Virenpartikel in höheren Konzentrationen und über längere Strecken als gelöste Stoffe transportiert werden können (Yates und Yates, 1990).
Laut Pang (2009) sind die Substrate mit dem höchsten Eliminierungspotential für Viren feine Sande und stark verwittertes Grundwassergestein. Die schlechteste Elimination wird grobkiesigem Material sowie Kluft- und Karstaquiferen zugeschrieben. Eliminationsraten stehen dabei in einem umgekehrten Bezug zu Parametern wie Abstandsgeschwindigkeit, hydraulische Leitfähigkeit und Infiltrationsraten.
Adsorption
Die Auswirkungen der Adsorption – auch Retardation genannt – sind abhängig von der Sedimenttextur, seinem organischen Kohlenstoffgehalt, der Temperatur sowie der chemischen Beschaffenheit des Porenwassers, d. h. insbesondere dem pH-Wert, der Ionenstärke und der Konzentration an gelöster organischer Substanz sowie den Redoxverhältnissen.
Achtung:
Die Adsorption kann einerseits zu einer Konzentrationsverminderung der Viren führen, andererseits aber auch zu einem Schutz der Viren vor Inaktivierung, so dass deren “Lebensdauer” dadurch erhöht wird und sie nach einer Desorption, d. h. einer Ablösung vom Sediment (verursacht durch z. B. eine Änderung in der Wasserchemie oder einer Zunahme der Wasserfließgeschwindigkeit) eine erneute Gefahr für das Trinkwasser darstellen können (Yates und Yates, 1990).
Eigenschaften der Fließstrecke
Eine wichtige Rolle bei der Virenelimination spielt die Fließgeschwindigkeit, deren Maximalwert durch die Art des Grundwasserleiters (Porengrundwasserleiter, Kluft- oder Karstgrundwasserleiter) und den Eigenschaften des Substrats bedingt ist. Ist diese zu hoch, findet kein ausreichender Kontakt der Viren mit dem Sediment statt und die Eliminationsleistung ist dann geringer. In Kluft- und Karstgrundwasserleitern ist die Fließgeschwindigkeit in der Regel so hoch, dass der Kontakt des Wassers mit dem Gestein nicht ausreicht, um Viren effektiv zu eliminieren. In diesen Grundwasserleitern muss daher mit einem hohen Virendurchbruch gerechnet werden (Pang, 2009). Sinton et al. (2010) stellten fest, dass physiko-chemische Parameter (d.h. pH-Wert des Wasser, Ionenstärke, Kationenaustauschkapazität des Sediments) nur in feinkörnigem Material (z. B. Sand) eine Rolle spielen, da dort aufgrund der geringen Fließgeschwindigkeiten Adsorption über Diffusion zur Festphase hin stattfinden kann. In kiesigem Untergrund, wo ein großer Porenraum kombiniert mit hohen Fließraten auftritt, ist dagegen ein diffusionsgesteuerter Kontakt der Viren mit der Sedimentoberfläche nicht möglich. Gupta et al. (2009) nennen als Bedingungen für einen Virenrückhalt eine niedrige Fließgeschwindigkeit (1,24 m/d) sowie eine hohe Ionenstärke (400 mg/L Gesamtkonzentration an gelösten Stoffen (TDS), 2 NTU Gesamtkonzentration an Schwebstoffen (TSS)), im Umkehrschluss für einen hohen Durchbruch eine hohe Fließgeschwindigkeit (12,4 m/d) und eine geringe Ionenstärke (200 mg/L TDS, 20 NTU TSS).
Eigenschaften der Viren
Neben der Beschaffenheit von Wasser, Sediment und Fließregime spielen die Eigenschaften der jeweiligen Viren eine zentrale Rolle bei ihrer Verlagerung im Untergrund, insbesondere deren Größe, Form, Dichte und Oberflächeneigenschaft (z. B. Oberflächenladung, Hydrophobizität; Jin und Flury, 2002).
Größe
Dieser Parameter spielt eine zentrale Rolle. Dowd et al. (1998) zeigen einen stärkeren Rückhalt für größere Phagen (Ø rund 60 nm) als für kleinere Phagen (Ø 24 bis 27 nm). Bei Größen > 60 nm kann dieser Effekt auch die Wirkung der Oberflächenladung „übermalen“. Mit Ausnahme von Adenoviren (Ø 80-100 nm), Rotaviren (60-100 nm) oder Coronaviren (100-120 nm) sind die meisten im Abwasser vorkommenden humanen Viren sehr viel kleiner. Besonders die häufig vorkommenden enteralen Viren liegen mit ihrer Größe im Bereich von ca. 30 nm. Eine separate Abfrage des Faktors „Größe“ erfolgt in diesem EUS nicht, da als worst-case Betrachtung, die alle Viren mit einschließen soll, bei diesem Parameter von sehr kleinen Viren ausgegangen wird.
Oberflächeneigenschaften
Die Oberflächenladung von Viren ist pH-Wert-abhängig. Da die meisten Oberflächen in sandigen und kiesigen Sedimenten wie auch die Viren selbst zumeist negativ geladen sind, kommt es insbesondere bei höheren pH-Werten (d. h. > pH 6) zu einer Abstoßung von Viren und Sediment, was die Virusmobilität im Wasser erhöht (Jin und Flury, 2002). Eine Anziehung zwischen Viren und Sediment besteht i) bei niedrigeren pH-Werten (d. h. pH 5 <; (Goyal und Gerba, 1979), die in natürlichen Gewässern jedoch selten auftreten sowie ii) bei Anwesenheit von Fe- oder Al-(hydr)oxiden. Neben den anziehenden elektrostatischen Kräften können auch hydrophobe Wechselwirkungen wesentlich zur Sorption von Viren beitragen. So können zum Beispiel bei hohem pH-Wert, d. h. wenn sowohl Viren als auch Sedimentoberfläche negativ geladen sind und es somit zu einer gegenseitigen Abstoßung kommen müßte, hydrophobe Wechselwirkungen zu einer Virenanlagerung führen (Schijven und Hassanizadeh, 2000).