Entscheidungsunterstützungssystem

Viren im Water Safety Plan

System- und Risikobewertung

Die Bewertung der vorhandenen Maßnahmen gegen Viren und der Verlässlichkeit, mit der sie betrieben werden, ergibt gleichzeitig – im Umkehrschluss – die Bewertung des Risikos, dass Viren bis ins fertige Trinkwasser durchbrechen könnten. Eine solche Bewertung kann man zunächst qualitativ oder anhand von groben semi-quantitativen Schätzungen vornehmen, um sich im zweiten Schritt einer quantitativen Bewertung zu nähern. Für die Sedimentpassage werden mit dem Entscheidungsbaum im Baustein Elimination durch Uferfiltration Hinweise für eine quantitative Bewertung gegeben. Solche detaillierte Beurteilungen liegen für andere technische Aufbereitungsverfahren noch nicht vor. Aber auch eine qualitative Bewertung oder eine grobe Schätzung z.B. anhand veröffentlichter Ergebnisse zur Trinkwasseraufbereitung bringen in aller Regel wertvolle Erkenntnisse über die Sicherheit oder über mögliche Schwachstellen des Systems. Die verschiedenen Komponenten der Versorgungskette sind einer Quantifizierung (in Logstufen) der Eliminationsleistung unterschiedlich gut zugänglich, und es verbleiben stets Unsicherheiten die es gilt, transparent zu machen, zu dokumentieren und ggf. auch (durch gezielte Messkampagnen) zu reduzieren, bevor Entscheidungen z.B. zur Verstärkung von Maßnahmen gegen Viren getroffen werden (siehe hierzu auch [1] ).

Eintragspfade

Wie auch nach Trinkwasserverordnung und technischem Regelwerk gefordert, gilt es, regelmäßig das Einzugsgebiet zu Begehen und mögliche Quellen für Einträge von Verunreinigungen zu erkennen. Dabei stehen als primäre Quelle von Einträgen humanpathogener Viren Siedlungen und Freizeitanlagen im Vordergrund; Landwirtschaft (Vieh, Gülle) und hohe Bestandsdichten von Wildtieren (Gehege, Futterplätze) sollten jedoch mit erfasst werden (insb. auch, wenn dieses Vorgehen auch andere Krankheitserreger wie EHEC oder Parasiten mit erfassen soll). Hilfreich für eine derartige Erfassung ist die Tabelle 1 im DVGW Arbeitsblatt W 101 [2] .

Auf der Grundlage der geographischen und hydrologischen Bedingungen kann geschätzt werden, in wie weit mit Viren aus derartigen „diffusen Quellen“ im Gewässer zu rechnen ist. Eine Quantifizierung der Einträge aus diffusen Quellen erfordert eine – meist aufwändige – hydrologische Modellierung des Einzugsgebiets sowie eine gute Datengrundlage zu den Mengen an Fäkalien, aus denen Viren entstammen können. Eher gelingt eine grob semiquantitative Priorisierung der wichtigsten Ursachen oder Emittenten, die eine wichtige Grundlage für die Festlegung von Minderungsmaßnahmen ergeben kann. Einträge aus Punktquellen – i.d.R. sind das Klärwerksabläufe – an den Zuläufen oder am Gewässer können anhand der angeschlossenen Bevölkerungszahl geschätzt werden.

Menge im Gewässer

Eine bessere Schätzung der Virenkonzentrationen im Gewässer und somit im Rohwasser für die Trinkwasserversorgung ist durch ein intensives Messprogramm möglich, d.h. durch Probennahme und Analyse auf Coliphagen und ggf. auch auf ausgewählte Referenz-Viren [1] . Ein solches Messprogramm kann auch direkte Einträge ins Gewässer (Freizeitnutzung; Wasservögel) einbeziehen. Dabei gilt es nicht, ein solches Programm als regelmäßiges Monitoring durchzuführen, sondern vielmehr als Intensivprogramm über 1-2 Jahre hinweg. Wichtig ist allerdings eine periodische Überprüfung („Revision“) mit gezielten Stichproben sowie insb. nach Änderungen von Nutzungen oder Bedingungen im Einzugsgebiet oder im Gewässer, die zu einer Änderung der Virenbelastung führen könnten.

Wichtig ist dies insb. für Gewässer, bei denen die Begehung des Einzugsgebietes Fäkaleinträge vermuten lässt und/oder oder E. coli und/oder Enterokokken nachzuweisen sind. Dann empfiehlt sich zunächst eine Untersuchung auf somatische Coliphagen und sofern diese gefunden werden, auch auf ausgewählte Indikatorviren als Referenzerreger. Aus dessen Maximalkonzentration kann abgeschätzt werden, welche Eliminationsleistung der Barrieren in der Rohwasserentnahme und in der technischen Aufbereitung erforderlich sind, um das theoretische Wasserqualitätsziel für Viren im Trinkwasser sicher einhalten zu können. Während die WHO als Referenzerreger für humanpathogene Viren Rotaviren vorschlägt, haben Adenoviren den Vorteil, ganzjährig im Abwasser und in Oberflächengewässern nachweisbar zu sein.

Für solche Kampagnen sollten Probennahmestellen sowohl an der Stelle der Rohwasserentnahme als auch nahe den am stärksten belasteten Zuläufen liegen. So kann ermittelt werden, welchen Beitrag der Aufenthalt im Gewässer zur Virenreduktion leistet. Allerdings müssen dabei die hydrologischen Bedingungen einbezogen werden – d.h. Strömungen im Gewässer, die je nach Zu- und Abfluss variieren können.

Insbesondere gilt es, neben regelmäßigen Probennahmen auch Extremereignisse (Starkniederschläge, Trockenperioden, Schneeschmelze) zu erfassen, da zu diesen Zeiten ggf. die höchsten Konzentrationen auftreten.

Ergebnis ist eine Maximalkonzentration an humanpathogenen Viren, mit der an der Entnahmestelle des Rohwassers gerechnet werden sollte. Diese Konzentration muss die Eliminationsleistung aller folgenden Komponenten der Versorgungskette (Uferfiltration und/oder technischen Aufbereitung, Desinfektion) auf die Zielkonzentration von 10 -5 pro Liter reduzieren, um das eingangs genannte Gesundheitsziel jederzeit sicher zu erreichen.

Elimination Uferfiltration

Mehr Information:
Systembewertung – was leistet Ihr Uferfiltrationssystem?

Elimination Aufbereitung

Für diese Verfahrensschritte liegt noch keine Metaanalyse der mindestens zu erwartenden Reduktionsleistung bei der Elimination von Viren in Abhängigkeit von ausgewählten Schlüsselparametern vor. Qualitativ kann die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik als Hinweis auf eine hohe Eliminationsleistung dienen, zumal diese bei der Nutzung von Oberflächenwasser auch die Desinfektion als weitere Barriere beinhalten. Einen Überblick gibt die WHO [3] : Tabelle 7.7 auf S. 139 zeigt, dass Flockung und Sedimentation bis zu 3 Logstufen Virenelimination erreichen kann, während Ultrafiltration bis zu 7, Chlorung und Ozon nur 2 und UV bis zu 4 Logstufen eliminieren. Allerdings umspannen die Angaben mehrere Größenordnungen, und es fehlen Angaben dazu, unter welchen Randbedingungen welche Eliminationsleistung erreicht wurde. Man kann sich der vermuteten Eliminationsleistung durch eine Reihe von Fachpublikationen nähern; ggf. sind auch gezielte Experimente mit Coliphagen in halbtechnischen Modellsystemen möglich, die die Prozesse im jeweiligen Wasserwerk unter den dortigen Bedingungen abbilden. Ferner laufen aktuell einige Forschungsprojekte zu diesen Fragen, so dass ein Modell analog dem zur Sedimentpassage in absehbarer Zeit erwartet werden darf.

Gesamtbewertung der Sicherheit

Trotz aller Unsicherheiten angesichts der Variabilität von Bedingungen im Gewässer ergibt die Quantifizierung des Virenvorkommens durch intensive Messkampagnen ein gutes Bild der zu erwartenden Belastung des Rohwassers. Trotz der Unsicherheiten bei der Übertragung von Daten aus anderen natürlichen und technischen Systemen ergibt die Schätzung der Eliminationsleistung des eigenen Systems anhand solcher Erfahrungswerte ein Bild der eigenen Situation dahingehend, ob die Bedingungen wahrscheinlich eine ausreichende Elimination sicherstellen, um ein von humanpathogenen Viren “freies” Trinkwasser zu erzeugen – in dem Sinne, dass darin rechnerisch nicht mehr als ein Virus in 100.000 Litern zu erwarten ist. In jedem Falle ergibt eine solche intensive Prüfung des Versorgungssystems – vom Einzugsgebiet bis zum Ausgang des Wasserwerks – ein besseres Verständnis des Systems, seiner Stärken, seiner möglichen Schwachstellen sowie der Kenntnislücken, die es ggf. für eine besser fundierte Beurteilung zu schließen gilt. Und sie macht die bislang eher implizit getroffenen Annahmen explizit und transparent!

[1]

Umweltbundesamt (2014). Vorgehen zur quantitativen Risikobewertung mikrobiologischer Befunde im Rohwasser sowie Konsequenzen für den Schutz des Einzugsgebietes und für die Wasseraufbereitung. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 57(10), 1224-1230.

[2]

W 101: DVGW – Technische Regel: Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete; Teil 1: Schutzgebiete für Grundwasser, Juni 2006

[3]

WHO (2011): Guidelines for Drinking-water Quality, fourth ed., WHO, Geneva, Link