Viren im Water Safety Plan
Beherrschung des Virenvorkommens
Viren – wie auch andere Krankheitserreger – gelangen über Fäkalien in Gewässer. Maßnahmen zur Vermeidung der Einträge von Fäkalien sind daher die erste Barriere zum Schutz vor Erregern. Viren infizieren artspezifischer als humanpathogene Bakterien und Parasiten, von denen einige auch durch Tiere ausgeschieden werden; Vogelgrippe und Schweingrippe zeigen jedoch, dass auch für Viren Einträge durch Tiere nicht ausgeschlossen werden sollten. Maßnahmen zur Vermeidung von Fäkaleinträgen sollten daher nicht ausschließlich auf menschliche Fäkalien fokussieren, sondern auch Einträge aus dichtem Viehbestand meiden.
Die Bewirtschaftung des Gewässers und der Trinkwasserentnahme kann eine zweite Barriere zur Beherrschung des Virenvorkommens sein wenn es gelingt, sie so zu gestalten, dass die natürlichen Prozesse der Retention und Inaktivierung wirksam werden können.
Eine dritte Barriere kann die Trinkwassergewinnung durch Sedimentpassage sein, sofern der Untergrund dafür geeignet ist; anderenfalls ist sie die technische Aufbereitung und Desinfektion. Eine dritte Barriere ist bei der Nutzung von Oberflächengewässer oder von Oberflächenwasser beeinflusstem Grundwasser in aller Regel erforderlich, da Fäkaleinträge in Oberflächengewässer fast nie hinreichend vermeidbar sind.
In ihrer Gesamtheit müssen die implementierten Maßnahmen ausreichen, um das theoretische Wasserqualitätsziel für Viren im abgegebenen Trinkwasser sicher einhalten zu können. Ob dies vermutet werden darf, gilt es unter dem Baustein Systembewertung zu beurteilen. Dazu zählt auch zu prüfen, ob die für die Sicherheit des Systems entscheidenden Maßnahmen hinreichend verlässlich betrieben werden und in wie weit betriebliche Überwachungsparameter (Prozesskenngrößen) ihre Verlässlichkeit so erfassen, dass diese jederzeit überprüfbar ist. Hier werden Maßnahmen zur Beherrschung von Viren skizziert und mit Anregungen dazu versehen, wie ihr verlässliches Funktionieren überwacht werden kann.
Maßnahmen im Gewässer und an der Trinkwasserentnahmestelle
Im Gewässer vermehren sich humanpathogene Viren nicht weiter; natürliche Inaktivierungs- und Abbauprozesse können jedoch Wochen bis Monate dauern. Kann eine Talsperre, ein See oder ein Fluss so bewirtschaftet werden, dass die Wasseraufenthaltszeit zwischen Zulauf der Virenfracht und Trinkwasserentnahmestelle im Bereich von mehreren Wochen liegt, so reduziert dies die Konzentration an infektiösen Viren erheblich. Zudem haften Viren an Schwebstoffpartikel an und können mit diesen zum Grund sedimentieren, sofern Turbulenzen und Durchmischung dies nicht verhindern. Je nach Gewässerbedingungen können diese Mechanismen mehr oder weniger wirksam zur Virenreduktion genutzt werden.
Mögliche Maßnahmen im Gewässer und an der Entnahmestelle finden Sie hier exemplarisch zusammen mit Vorschlägen zu deren betrieblicher Überwachung sowie zur Validierung, d.h. zur Prüfung, ob sie prinzipiell geeignet und so ausgelegt sind, dass sie das jeweilige Ziel erreichen können:
Beispiele für Maßnahmen |
Beispiele für deren betriebliche Überwachung und Validierung |
Bei Trinkwasserentnahme aus dem Gewässer:
Optimierung der Lage der Entnahmestelle relativ zum hauptsächlichen Zufluss mit Abwassereinfluss |
Prüfung der Konzentration an Schwebstoffen, ggf. auch an Coliphagen, an verschiedenen Stellen des Gewässers und an der Entnahmestelle |
Bei tiefenvariabler Rohwasserentnahme flexible Anpassung der Entnahmetiefe an Variationen der Einschichtung von abwasserbelasteten Zuläufen |
Prüfung der Dokumentation der Tiefenauswahl, ihrer Auswahlkriterien und der Daten, die zu Anpassungen der Entnahmetiefe führten;
Prüfung der Konzentration an Schwebstoffen, ggf. auch an Coliphagen |
Bei Uferfiltration oder künstlicher Grundwasseranreicherung:
Optimieren der Lage der Brunnen zur Gewährleistung eines für die erforderliche Retention ausreichenden Mindestaufenthaltszeit im Sediment |
Bewertung der erforderlichen Fließstrecke (siehe „Systembewertung“ in diesem EUS);
Tracertests zur Überprüfung der Verweilzeiten im Sediment unter unterschiedlichen Bedingungen |
Konstruktion von Brunnen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik bei Vermeidung der Ausbildung bevorzugter Fließstrecken im Untergrund, die zur Reduktion der Filterwirkung des Bodens führen |
Brunnenbohrung nur durch geschulte Experten; Pumptests unter Volllast; Überwachung der Bohrlöcher mit Hilfe von TV |
Bei künstlicher Grundwasseranreicherung:
Vermeidung anoxischer / anaerober Bedingungen durch regelmäßiges Entfernen von verstopften Filterschichten
Nach der Entfernung von kolmatierten Filterschichten in Anreicherungsbecken: Einhaltung der erforderlichen Aufenthaltszeit durch Reduzierung der Pumpenleistung |
Überwachung der Filtergeschwindigkeit und/oder des Sauerstoffgehalts im Filtrat
Überwachung der Förderrate;
Prüfung der Dokumentation über die Entfernung von Filtermaterial sowie der Grundwasserstände und Förderraten |
Diese Beispiele sind keineswegs umfassend; sie sollen Möglichkeiten aufzeigen und zur Auswahl und Entwicklung eigener Maßnahmen anregen, die für Ihr System geeignet sind. Für Maßnahmen im Gewässer ist spezifische Fachkompetenz insb. aus Limnologie und Hydrologie hilfreich – für Uferfiltration oder künstliche Grundwasseranreicherung dagegen Expertise aus der Hydrogeologie.
Maßnahmen im Einzugsgebiet zur Beherrschung von Vireneinträgen
In Einzugsgebieten von Trinkwasserfassungen bestehen meist verschiedene Maßnahmen zur Vermeidung oder Reduzierung von Fäkaleinträgen. Sie reichen von der Planung der Flächennutzung über einen Anschlusszwang an die Kanalisation und Anforderungen an Sickergruben, eine vierte Reinigungsstufe im Klärwerk bis zur Ausweisung von Schutzgebieten, in denen menschliche Siedlungen nicht gestattet und auch andere Aktivitäten stark eingeschränkt sind.
Mögliche Maßnahmen im Einzugsgebiet sowie Vorschläge zu deren betrieblicher Überwachung finden Sie hier exemplarisch für die Bereiche:
Wasserwirtschaftliche Planung
Beispiele für Maßnahmen |
Beispiele für deren behördliche und/oder betriebliche Überwachung |
Entwicklung eines Flächennutzungsplans zur Minimierung von Fäkaleinträgen durch Siedlungen, Camping-Plätze, diverse Freizeitnutzungen, Erosion, Drainagen und Zuflüsse; ggf. Ausweisen von Flächen nur mit Forstnutzung; Einrichtung von Uferschutzzonen (Gewässerrandstreifen) |
Prüfung der Pläne (durch die zuständige Behörde) und periodische Ortsbegehung zur Überprüfung ihrer Umsetzung: Bestehen die Forstflächen oder Uferrandstreifen noch? Sind sie intakt und werden sie so bewirtschaftet, dass es nicht zur Bodenerosion kommt? |
Ausweisen von Wasserschutzgebieten mit Nutzungseinschränkungen |
Ortsbegehung und Inspektionen zur Überprüfung der Einhaltung |
Positionierung von Brunnen, die Uferfiltrat oder künstlich angereichertes Grundwasser fördern, u.a. auch auf der Grundlage einer Analyse der Wahrscheinlichkeit eines Durchbruchs von Viren |
Prüfung der Pläne (durch die zuständige Behörde), u.a. anhand des unter “Systembewertung” vorgeschlagenen Modells |
Diffuse Einträge
Beispiele für Maßnahmen |
Beispiele für deren behördliche und/oder betriebliche Überwachung |
Anschlusszwang an zentrale Kläranlagen für Siedlungen im Einzugsgebiet |
Prüfung der Pläne durch die zuständige Behörde; periodische Ortsbegehung zur Überprüfung ihrer Umsetzung |
Auflagen für dezentrale Gruben und Kleinkläranlagen |
Prüfung der Pläne durch die zuständige Behörde; periodische Ortsbegehung zur Überprüfung ihrer Umsetzung |
Auflagen für landwirtschaftliche Aktivität in empfindlichen Einzugsgebieten, z.B. für das Ausbringen von Gülle und für die Viehbestandsdichte |
Periodische Ortsbegehung/Inspektion zur Überprüfung der Einhaltung der Auflagen durch Inaugenscheinnahme sowie durch Prüfung der Aufzeichnungen der Landwirte über Gülleausbringung (Mengen und Zeitpunkte) und über Viehbestände |
Punktförmige Einträge
Beispiele für Maßnahmen |
Beispiele für deren behördliche und/oder betriebliche Überwachung |
Einleitungsgenehmigungen für Abwässer aus Klärwerken und Betrieben, einschl. Festlegung der Aufbereitungsverfahren |
Prüfung der Pläne durch die zuständige Behörde und periodische Ortsbegehung / Inspektion der Anlagen, der betrieblichen Aufzeichnungen zur Prozessführung und der Daten zur Ablaufqualität |
Regenwasserrückhaltebecken oder Vorsperren zu Talsperren, um Viren (wie auch andere Krankheitserreger) länger den natürlichen Inaktivierungsprozessen auszusetzen |
Prüfung der Pläne im Hinblick auf ausreichende Kapazität, um die erforderliche Aufenthaltsdauer erreichen zu können; periodische Inspektion der Bauwerke (auch bereits während des Baus) und Prüfung der Wartungspläne |
Auslegung der Kanalisation so, dass Überläufe und somit Einträge in die Gewässer bei Starkniederschlag minimiert werden |
Prüfung der Pläne im Hinblick auf ausreichende Kapazität; periodische Inspektion der Bauwerke (auch bereits während des Baus) und Prüfung der Wartungspläne |
Betrieb der Aufbereitungsstufen im Klärwerk so, dass die Ziele für die Ablaufkonzentration erreicht werden |
Unangemeldete Inspektion einschließlich Beprobung der Einleitungen und Analyse der Abwässer |
Diese Beispiele sind keineswegs umfassend; sie sollen Möglichkeiten aufzeigen und zur Auswahl und Entwicklung eigener Maßnahmen anregen, die für Ihr System geeignet sind. Für Maßnahmen im Einzugsgebiet ist spezifische Fachkompetenz hilfreich, insbesondere aus Limnologie und Hydrologie zur Modellierung von Frachten und Einträgen sowie aus der Mikrobiologie zur Beurteilung der Fähigkeit von Erregern, in der natürlichen Umwelt zu überdauern.
Für die Akzeptanz neu beschlossener Maßnahmen sowie ggf. für die Änderungen bestehender kann die Einbeziehung der unterschiedlichen Interessengruppen aus dem Einzugsgebiet erfolgskritisch sein.
Maßnahmen durch Aufbereitung und Desinfektion
Wo Oberflächengewässer zur Trinkwassergewinnung genutzt werden, sind in Deutschland immer Aufbereitungsmaßnahmen implementiert – häufig Voroxidation durch Ozon, Flockung, Mehrschichtfiltration und Desinfektion sowie bei stofflicher Belastung Aktivkohlefiltration. Zunehmend wird auch Ultrafiltration eingesetzt. All diese Verfahren können Virenkonzentrationen um einige Größenordnungen reduzieren, sofern sie mindestens nach den allgemein anerkannten Regeln betrieben werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO; [1] ) gibt eine Übersicht der damit jeweils erreichbaren Reduktionsleistungen, die jedoch nur eingeschränkt auf die Verhältnisse in Deutschland anwendbar ist. Wo Aufbereitung und Desinfektion entscheidende Barrieren zur Beherrschung des Virenrisikos sind, ist ihre betriebliche Überwachung anhand geeigneter Prozessparameter für die jederzeit verlässliche Virenentfernung unerlässlich.
Beispiele für Maßnahmen zur Beherrschung von Viren durch technische Aufbereitungsschritte und Desinfektion sowie Vorschläge zu deren betrieblicher Überwachung finden Sie hier exemplarisch:
Beispiele für Maßnahmen |
Beispiele für deren betriebliche Überwachung |
Bau , Wartung und Betrieb der Anlagen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik |
Inspektion der Anlagen und Protokolle durchgeführter Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten |
Betrieb von Flockung und Filtration so, dass Kolloide wie Viren effizient zurückgehalten werden |
On-line Erfassung von Parametern, die Durchbruch anzeigen (z.B. Trübung, Partikelanzahl);
Hydraulische Überwachung der Filter (Differenzdruck);
Kontrolle des pH-Wertes bei Flockung mit Al oder Fe, |
Desinfektion mit chemischen oder physikalischen Verfahren (Chlor, Chlordioxid, Ozon, UV) |
Überwachung der Zugabe des Desinfektionsmittels;
Überwachung der Restkonzentration und der Reaktionszeiten;
Bestimmung der Desinfektionsnebenprodukte
Onlinebestimmung der UV-Strahlerleistung,
Protokolle der Wartung der UV-Anlage (Strahlerwechsel). |
Ultrafiltration |
Onlineüberwachung der Partikelkonzentration mit einem Partikelzähler;
Regelmäßiger Integrationstest der Module;
Hydraulische Überwachung der Membrananlage (Flux);
Überwachung der Belegung der Membranoberfläche (scaling, fouling). |